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ANDACHT vom OSTERSONNTAG 2020 / Deutsch Reformierte Kirche zu Kopenhagen

Liebe Freunde.
 Die Türen geschlossen, dahinter verunsicherte Menschen. Das, was geschehen war und was gerade geschieht, macht ihnen Angst und lässt sie ratlos zurück: Was wird die Zukunft bringen? Worauf können wir bauen? Gibt es ein Zurück ins normale Leben?
 Es gibt durchaus Analogien zwischen der Situation heute, Ostern 2020, und der Situation der Jüngerinnen und Jünger damals in Jerusalem, als man Jesus gekreuzigt hatte. Sie, die sich so viel von ihm versprochen hatte, die ihre Hoffnung, die ganzes Leben auf ihn ausgerichtet hatte, waren nach seinem Tod erschüttert und entwurzelt zurückgeblieben. Was würde jetzt geschehen? Das Leben um sie herum schien weiter zu gehen, aber wiewürde ihre Zukunft aussehen?
 Sie verschlossen die Türen hinter sich und vermieden den Kontakt zu den anderen. Eine Vollbremsung aus voller Fahrt mitten im Leben, wann und vor allem wie könnte es für sie jemals weitergehen?
 Diese Verunsicherung, wie es in der Zukunft weitergehen soll, gibt es auch in unseren Tagen; auch das Gefühl der Bedrohung, das wir sicherlich mehr oder weniger stark erleben, beobachten wir in diesen Corona-Zeiten bei uns und bei anderen.
 Dass es darüber hinaus viele Unterschiede zwischen heute und der Situation damals gibt, ist mir natürlich klar. Wir halten Abstand und vermeiden Kontakte, um uns selbst und andere zu schützen. Die Gründe, warum wir unsicher sind, sind heute anders, als von knapp 2000 Jahren.
 Die Parallelen, oder besser die Analogien, bestehen in dem, was bei den Menschen ausgelöst wird: Unsicherheit, das Gefühl in Gefahr zu sein, zum Teil auch Panik. Plötzlich sind Dinge, die man für sicher hielt, gar nicht mehr sicher. Pläne, die man für unverrückbar hielt, sind von einem Moment auf den nächsten, das Papier nicht wert, auf dem sie stehen. Sicherheiten, die in Stein gemeißelt schienen, zerrinnen wie Sand.
 Und wenn ich nicht weiß, was die Zukunft bringt, woran soll ich mein Handeln orientieren? Was ist jetzt das richtige Verhalten, wenn ich keine Vorstellung entwickeln kann, wie das weitere Leben aussehen soll?
 Das Ringen nach Hoffnung und Zuversicht jenseits von trübem Pessimismus auf der einen und blindem Optimismus auf der anderen Seite verbindet uns mit anderen – und auch mit den biblischen Ostergeschichten.
 Was können sie uns für unseren heutigen Fragen sagen? Wie können sie Hinweise darauf geben, Zuversicht zurückzugewinnen oder zu erhalten?
 Zum Glück – oder besser: Gott sei Dank – gibt es nicht nur eine biblische Ostergeschichte.
 Da gibt es die Geschichte von den drei Frauen, die zum Grab gehen, um dem Verstorbenen einen letzten Liebesdienst zu erweisen und seinen Leichnam mit wohlriechenden Ölen zu salben. Aber als sie am Grab ankommen, finden sie dieses leer vor: Kein toter Jesus, stattdessen treffen sie auf einen Engel, und dieser Engel schickt sie zurück ins Leben, zurück zu den anderen, zurück in die Welt. Er sagt: was sucht ihr Jesus bei den Toten? Er wird Euch auch in der Zukunft vorangehen, folgt ihm weiterhin, seid seine Jüngerinnen und Jünger in der Welt!
 Ich finde es bemerkenswert, dass die Bibel nicht verschweigt, dass die Frauen auf dieses Geschehen durchaus menschlich reagieren, nämlich dass sie sich ordentlich erschrecken, bevor sie dann zu den anderen gehen und das tun, was ihnen gesagt wurde.
 Da gibt es die Geschichte von Maria aus Magdala. Sie ist so dermaßen in ihrer Trauer über den Verlust versunken und gefangen, dass sie die Wirklichkeit um sich herum gar nicht mehr richtig wahrnimmt. Sie geht zum Grab, und als es leer ist, ist sie schockiert. Als Jesus hinter ihr steht, bemerkt sie ihn nicht, und als sie sich dann doch umdreht, erkennt sie ihn nicht. Sie hält ihn für den Gärtner.
 Erst als er sie anspricht, erst als er sie bei ihrem Namen nennt, beginnt sie zu begreifen. Auch sie wird zu den anderen geschickt, sie erzählt, was sie erlebt hat und so breitet sich die Nachricht von dem, was geschehen ist, aus - bis heute.
 Oder da ist Thomas. Der, der nicht glauben kann oder will, was die anderen erzählen. Der – selbst als er Jesus sieht – der Sache nicht traut und noch mehr Beweise braucht. Erst als er ihn berühren darf, kommt er zur Erkenntnis – oder zum Glauben. Aber das muss ja kein Widerspruch sein.
 In dem Dialog zwischen Thomas und Jesus fällt übrigens kein kritisches Wort gegenüber Thomas. Sondern Jesus bemüht sich, auf ihn einzugehen und ihm entgegen zu kommen.
 Und dann gibt es auch noch die lange Geschichte aus dem Lukasevangelium, die von den beiden Jüngern erzählt, die sich enttäuscht und ohne Plan auf den Heimweg begeben. Sie stammen aus einem Ort, der etwas zwei Stunden Fußmarsch von Jerusalem liegt, und unterwegs reden sie miteinander: über das, was in den letzten Tagen geschehen ist, über ihre Erwartungen und Enttäuschungen.
 Ein dritter gesellt sich zu ihnen, der offenbar nichts von diesem Jesus von Nazareth weiß. Und so erzählen sie , was geschehen ist und was Jesus für sie bedeutete.
 Sie machten also so etwas ähnliches, was wir heute auch machen.
 Aber sie hatten keine Deutung für das Geschehene. Die hat aber ihr neuer Wegbegleiter, von dem wir als Leser der Geschichte schon längst wissen, dass es Jesus selbst ist, den sie aber nicht erkennen. Auch nicht als er sich jetzt als ausgesprochen schriftkundig erweist.
 Schließlich erreichen sie ihr Ziel. Mittlerweile ist zwischen ihnen etwas gewachsen, so dass sie ihn einladen, noch zu bleiben und mit ihnen zu essen, denn es ist inzwischen Abend geworden.
 Als sie dann zusammen am Tisch sitzen, nimmt Jesus das Brot dankt Gott dafür, bricht es in Stücke und gibt es ihnen. Als er dieses sagt und tut, da erkennen auch sie, wer sie da begleitet hat. …

 Alles Geschichten von normalen Menschen, die sich nicht dadurch auszeichnen, dass sie besonders überlegen oder souverän reagieren. Menschen also, die genau so sind, wie die, denen wir begegnen. Oder – um ehrlich zu sein – die so sind wie wir selbst.
 Erkennen wir uns vielleicht sogar in dem einen oder anderen Verhalten wieder, kennen wir die eine oder andere Eigenschaft von uns selber?
 Darin liegt eine Stärke dieser Ostergeschichten, aber vor allem sind es keinen Heldengeschichten. In allem kommt der Glaube, kommt auch die Freude erst ganz allmählich, ganz langsam zum Vorschein. Leise und behutsam wächst bei den Menschen das, was ihr Leben von nun an auf eine neues Fundament stellt. ..
 Die Choräle, die wir in den Kirche zu Ostern singen, sprühen vor Jubel und Begeisterung. Das kann ich verstehen, sie spiegeln das, was sich aus diesen ersten Anfängen damals entwickelt hat.
 Aber die spontane Reaktion auf die Auferstehung Christi ist anders. Sie ist noch durchdrungen von Angst und Zweifel. Die Erschütterung ist groß gewesen, die Furcht ist noch nicht völlig besiegt. Aber das macht die Geschichten so stark und so menschlich….
 Es wird durch die Osterbotschaft nicht alles Grauen und alles Bedrohliche weggezaubert, im Gegenteil: mittendrin breitet sich der Trost, die Botschaft der Hoffnung aus – und gewinnt leise und allmählich Raum.
 Das ist kein Trost, der uns von oben übergestülpt werden soll, sondern der in einer bedrohlichen Situation gesät wird, wächst und Kraft gewinnt.
 Deshalb können uns diese Geschichten jetzt ansprechen. Dann, wenn wir verunsichert sind und Fragen nach einer verlässlichen Zukunftsperspektive stellen. Es wird nichts aus dem Hut gezaubert, und unsere Zweifel bleiben ernstgenommen.
 Vielleicht helfen uns die biblischen Ostergeschichten in unserem eigenen Kleinglauben, denn sie urteilen nicht über die verunsicherten Menschen, sondern verbinden die manchmal bedrückende Wirklichkeit mit der Aussicht auf Erneuerung des Lebens.

 Die Kirchen sind heute leer, das wird nach dem Ende der Krise anders werden und ich freue mich darauf. Damals war das Grab leer. Und irgendwann begriffen die Menschen, dass dieses Ende ein neuer Anfang war. Gottes Ziel mit uns ist das Leben!
 Die Zukunft wird nicht dem Virus gehören, sondern die Zukunft steht in Gottes Hand. Voraussichtlich wird es auch in der Zukunft noch andere Erschütterungen geben, aber wir können solche Krisen überstehen. Die Ostergeschichten nehmen die bewegten Gefühle der Menschen ernst. Sie zeigen Menschen, denen die Fundamente ihrer Existenz in Wanken gerieten, die in sich zusammenbrachen.
 Und sie zeigen , dass diese Menschen in der Begegnung mit Jesus, der den Tod hinter sich gelassen hatte, neue Kraft sammelten und ihren Mut wieder fanden. Für sie begann eine neues Leben und dieses teilten sie mit anderen.
 Lasst uns deshalb - auch gerade unter den jetzigen unfreundlichen Umständen - die Botschaft vom Neuanfang nach der Gefahr und der Ratlosigkeit hörbar und lebendig halten.

Denn:
Und der Friede Gottes, der größer ist als alles, was wir mit unserem Verstand begreifen, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Er halte unsere Hoffnung lebendig und bewahre uns auf allen unseren Wegen. Amen